Verfön-Ritual - Geschichte aus dem Bad
(scrolle runter, wenn Du die Geschichte nicht lesen möchtest und dich nur die Achtsamkeitsübung interessiert)
„Mit der Aufmerksamkeit im JETZT gerichtet, verfliegen die Gedanken in ein mit Nebelschwaden eingetauchten Raum und bekommen eine Dimension von Weite in uns.“
Es ist Sonntag – Zeit für ein ausgiebiges Pflegeritual im Bad. Draußen zieht die Dunkelheit noch ihre Bahnen und ein leichter Hauch von Morgendämmerung lässt sich erahnen. Langsamen Schrittes wandle ich ins Bad. Zur Begrüßung des Tages zünde ich eine Kerze an, damit mich das helle Licht nicht gleich in Aufbruchsstimmung versetzt. Die weiße Orchidee daneben zeigt mir ihr freundlich lachendes gelbes Gesicht. Schlaftrunken setze ich mich aufs Thrönchen – meine Blase zerrt schon eine Weile an mir. Ich atme flach und alsbald liegt auch mein Morgengewandt flach auf dem Boden. Das Rauschen der Dusche erinnert mich an meine wilden und unverständlichen Träume aus der Nacht. Vom warmen Wasser lasse ich mich da herzlich gerne umarmen. Gedanken der Vergangenheit - Gedanken an die Zukunft schwirren mir unaufhaltsam durch meinen Kopf – STOP.
Ich atme erst einmal ganz tief und sanft in meinen Körper ein und wieder aus. Ich mag meine Gedanken verschicken – einen Moment auf den Stapel für später legen. Bewusst nehme ich das warme Wasser auf meiner Haut wahr. Rieche an der Duschlotion die mir Granatapfeldüfte verspricht – ich rieche das Meer. Wie riecht das Meer? Schmecken wird es salzig, wie der Schaum der Granate, der mir versehentlich in meinen Mund gelangt. Zwar bitter und hart, aber mit viel Fantasie salzig und zart. Mit meinen schaumigen Händen fahre ich meinen Körper entlang. Ganz langsam zieht sich ein weißer Film über meine Haut. Und die Haare, die wollen das alles sehnsüchtig auch. So langsam machen sich meine Gedanken auf den Weg ins Nirgendwo. Ich bremse das fließende Wasser, der Schaum mit den Gedankenschuppen fließt nun ab. Gezielt nehme ich die weiße Fletsche mit dem grünen Rand und beginne, die glitzernden Wassertropfen auf den weißen Fliesen und der durchsichtigen Duschwand abzuziehen. Stück für Stück wische ich in einer beschaulichen Besinnlichkeit die Zeichen der Sauberkeit weg.
Die Bewegung wird begleitet von einer quietschenden Melodie. Im Rhythmus gehe ich nun in die Knie und im Gleichklang wieder hoch – das macht meinen Rücken äußerst froh. Die erste Morgengymnastik ist geschafft. Sie macht mich stolz und augenblicklich stehe ich kerzengerade. Bereit liegen meine pinkfarbenen Handtücher. Rau fühlen sie sich an, aber ihr Geruch lässt Sommerwind vermuten. In gebückter Haltung schlinge ich eins um meinen Kopf. Das andere rubbelt über meine saubere Haut und hinterlässt ein angenehmes Gänsehautgefühl. In dem Schränkchen mit der grauen Tür verbirgt sich ein Sammelsurium an Pflegeprodukten – einige davon schon Jahre unbenutzt. Die Gesichtscreme riecht nach Mandelöl und mein Gesicht, Hals und Dekolleté freuen sich über die Feuchtigkeit, die sie verspricht. Spontan gedacht, danke ich meinem doch manchmal störrischen Hals. Hocherhoben und schwer tragen muss er zeitweise mit der Ansammlung von Gedanken in meinem Kopf. Und auch die apricot farbene Sanddorncreme gleitet über meinen gewölbten fraulichen Körper. Die großen, langen und dicken Zehen mögen es heute besonders aufmerksam. So hatte ich diese in Jugendzeiten nicht sehen und wahrhaben wollen. Früher kaum beachtet, schenke ich ihnen jetzt meine liebevolle Annahme. Die Füße allgemein wenig bedacht, sind sie der Pflege überaus wert. So lassen sie uns stehen aufrecht in voller Pracht.
Die Haare erwarten eine Entwirrung und ich nehme aus dem gelben Behältnis die schwarze Bürste mit dem kleinen matten Griff in die Hand. Meine Gedanken schweifen wiederholt ab, bei der Fülle an Produkten in dem Badezimmerschrank. Da entdecke ich einen roten verschlungenen Faden in meiner Bürste. Danke für die Erinnerung des drohenden verlierenden roten Fadens meiner gewählten Achtsamkeit im jetzigen Morgen. Sanft bürste ich meine Haare und schaue in den Spiegel. Ich lächle mir zu und entspannt öffne ich die Tür des Spiegelschränkchens. Auch die Zahnbürste scheint in Erwartung zu sein und ich staune über ihre Form, Farbe und Material. Vielleicht sollte ich doch einmal eine aus Bambusholz in Erwägung ziehen. Auch hier ein quietschendes Geräusch bei den wirbelnden Bewegungen auf meinen Zähnen. Der silberfarben glänzende kalte Wasserhahn spuckt ungeniert sein Wasser aus und ich - ich spucke, gurgle und spucke ebenfalls ganz frech die weiß schäumende Paste aus. Das graue Handtuch vom Handtuchhaken erhaschend wische ich Bürste und Mund trocken. Der Handtuchhalter ist ein Fundstück aus dem Meer, welches Menorca umspülte. Ich streichle darüber und breit machen sich Erinnerungen an diese Zeit. Gedanklich abgelenkt, lege ich meine Aufmerksamkeit auf die fünf Knäufe aus weiß-blauer Keramik, die das Stück Holz zieren. Seifenstücke an blauen Bändern, ein trockener Naturschwamm und eine Handbürste aus Edelholz hängen nur zur Ansicht daran. Warmer Wind wirbelt durch meine Haare. Die Bürste formt zarte Wellen in meine rötliche Haarpracht – ganz langsam und bewusst. Und augenscheinlich ähnelt meine Frisur eines hohen Wellenganges auf dem tosenden Meer. Der Blick in mein Ebenbild lässt mich liebevoll ein wenig darin verweilen, da entdecke ich am Kinn ein unerwünschtes Objekt. Pinzette schnell gezückt und weg ist das störende schwarze Härchen, noch bevor es zu einem Männerbart sich auswächst.
Den Fön noch griffbereit, macht sich die warme Luft nun auf meinem Körper breit. Verfönt und beseelt mag ein Makeup mein Gesicht noch verschönern. Jetzt mögen die Hände die gelb schimmernde Seife in der Abalone-Muschelschale greifen und der Duft von Honig macht Hunger auf das Frühstücksmahl danach. Ich setze meine blau-marmorierte Brille auf und blicke mit klarem Blick in den Tag. Meine Hörschneckchen verschwinden sicher in meinen Ohrmuscheln, bereit für die Worte in mir und von dir. Zum Abmarsch gestriegelt und gut aufgelegt, gehe ich in die Bereitschaft, der kommenden Zeit weiterhin meine Achtsamkeit im JETZT zu schenken. Ich puste tief entspannt die blaue Kerze aus. Die Leichtigkeit der Rauchschwaden macht mir meine eigene Leichtigkeit bewusst. Bewegt und nackt trete ich in die Frische des Morgens. Da steht vor mir unbemerkt mein Gefährte und flüstert mir ins Ohr: „Nackt mag ich dich am liebsten“ und küsst mich beschwingt auf die Stirn. Guten Morgen du wundervoller Tag.
Achtsame Grüße aus dem Bad von Claudia
Und hier meine Inspiration für Deine Achtsamkeitsübung:
1. Achtsamkeitsübung: Stelle Dir stündlich einen Wecker mit einer schönen angenehmen Melodie. Wähle einen Zeitraum von 12 Stunden. Wenn der Wecker klingelt, halte 1 Minute inne und nehme mit Deinen Sinnen alles bewusst wahr, was Du siehst, hörst, riechst, fühlst und auch schmeckst.
* Sehe Dir die Dinge in Deiner Umgebung an und benenne diese nur mit der Farbe, die diese haben.
* Höre auf die umgebenden Geräusche ohne gedanklich an das, was oder wer dieses Geräusch produziert. Also, piepen, summen, rauschen, flöten, hämmern, trällern usw.
* Rieche bei einer tiefen Einatmung und gehe näher an einen Gegenstand, Blume, Papier, Kleber, Handwerkzeug oder ähnliches heran. Und bitte nur riechen ohne zu beschreiben.
* Fühle einmal die Gegenstände, die um Dich herum sind. Wie fühlen sie sich an? Rau, hart, weich, kalt, warm, glitschig usw. Und auch hier bitte nur wahrnehmen und nicht denken.
2. Die zweite Inspiration, um Deine Achtsamkeit zu schulen, mag über einen längeren Zeitraum sein - wie in meiner beschriebenen Geschichte. Entscheide Dich für eine Zeit, in der Du nicht gestört wirst. Das kann im Badezimmer sein, wobei Deine Familie vielleicht einen zwingenden Grund haben könnte, Dich dabei zu stören. Ich bin mir sicher, Du wirst eine Möglichkeit finden.